Kai Kupferschmidt: HIV / Aids

Anfang der 1980er Jahre hat sich eine Krankheit ausgebreitet, die bis dahin kaum bekannt war. Die Rede ist vom erworbenen Immundefizienz-Syndrom (Aids), das durch das HI-Virus ausgelöst wird. Das Virus gehört zu den Erregern, die Kai Kupferschmidt in seinem Buch Seuchen behandelt hat. Demnach ist der Erreger recht schwer übertragbar, man kann sich leicht davor schützen. Dennoch breitet sich die Seuche weltweit immer weiter aus.

 

Die Deutsche Aidshilfe gibt einen Überblick zur Übertragbarkeit und bestätigt, dass HIV im Alltag nicht übertragbar ist. Riskant sind bestimmte sexuelle Handlungen und etwa beim Drogenkonsum die Verwendung von benutzten Nadeln oder Spritzen. Selbst beim Geschlechtsverkehr sind nicht alle Kontakte gleichermaßen riskant. Einige sexuelle Handlungen sind praktisch risikolos, so etwa Oralverkehr.

 

Nach jetzigem Stand ist eine HIV-Infektion nicht heilbar, aber recht gut medikamentös behandelbar. Mit einer Behandlung kann ein Ausbruch der Erkrankung über viele Jahre hinausgezögert werden. Die Medikamente reduzieren die sogenannte Viruslast im Körper im Idealfall so weit, dass die Ansteckung eines gesunden Partners selbst beim Geschlechtsverkehr kaum noch möglich ist.

 

Selbst nach einem Risikokontakt mit einer infizierten Person steht eine medikamentöse Behandlung zur Verfügung, um eine Infektion zu verhindern. Diese sogenannte Postexpositionsprophylaxe (PEP) sollte möglichst frühzeitig, am besten bis zu zwei Studen nach einer möglichen Infektion, begonnen werden. Damit kann die Wahrscheinlichkeit einer tatsächlichen Infektion reduziert werden.

Drama in drei Versionen

Informierten Menschen sollte es leicht möglich sein, durch Vorsichtsmaßnahmen eine Ansteckung mit dem HI-Virus zu vermeiden. An erster Stelle wäre hier die Verwendung von Kondomen zu nennen. Es sollte eigentlich auch jedem zuzumuten sein, nicht jeglichem sexuellen Lustgefühl mit einem ihm nicht bekannten Menschen unmittelbar nachzugeben. Wenn nicht weniger als die eigene Zukunft auf dem Spiel steht, müsste vorab ein ernstes und ehrliches Gespräch mit einem neuen Partner eine Selbstverständlichkeit sein. Gerade bei Hochrisikokontakten könnten sich beide Seiten durch aktuelle Aids-Tests absichern. Durch Verzicht auf besonders riskante Praktiken kann und sollte im Zweifel das Risiko weiter gesenkt werden.

 

Doch trotz allem ist das eigentlich Unmögliche dem Fachmann und Journalisten Kai Kupferschmidt selbst geschehen. Wie er ausführlich schildert, hat er sich 2012 mit dem HI-Virus infiziert. Sicher war dies ein persönlich einschneidendes und tragisches Ereignis. Niemand müsste derartiges offenbaren. Doch Kupferschmidt hat es getan, die Geschichte ist öffentlich. Somit darf und muss sie sachlich nüchtern betrachtet werden.

 

Außerdem hat Kupferschmidt sich als Journalist präsentiert und seine Möglichkeiten als Redakteur des Berliner Tagesspiegel genutzt, um mit seinen Erfahrungen an die Öffentlichkeit zu treten. Kupferschmidt hat sich entschieden, den Ablauf in mehreren Versionen mit einem Abstand von mehr als sieben Jahren zu erzählen.

1. Version: "Ich bin nicht HIV-positiv" (1.12.2012)

Die erste Variante offenbarte Kupferschmidt in dem Beitrag Positiv und Negativ, der am 1.12.2012 vom Tagesspiegel veröffentlicht wurde. Der Text beginnt mit der Aussage "Ich bin nicht HIV-positiv". Darauf outet sich Kupferschmidt als homosexuell, indem er vom Beginn einer "aufregenden" Beziehung mit "Schmetterlingen im Bauch" in Berlin berichtet.

 

Kurz darauf verbringt Kupferschmidt mit seinem neuen Partner ein romantisches Wochenende auf einer brasilianischen Insel, das jedoch in einer Katastrophe endet. Angeblich sei beim Verkehr ein Kondom gerissen. Darauf habe der Mann, in den Kupferschmidt verliebt war, gestanden, mit HIV infiziert zu sein.

 

Kupferschmidt geriet in Panik und kalkulierte seine Möglichkeiten. Einiges sprach dafür, dass er eher nicht infiziert wurde. Andererseits war die Viruslast im Körper des Partners recht hoch. Nach den medizinischen Leitlinien sollte er nun möglichst bald mit einer Postexpositionsprophylaxe (PEP) beginnen. Das war jedoch nicht möglich, auf der Insel war er von medizinischen Behandlungsmöglichkeiten abgeschnitten. So konnte Kupferschmidt erst 24 Stunden später einen Arzt auf dem Festland aufsuchen, von dem er die benötigten Medikamente erhielt.

 

Bei einer PEP sind die Medikamente vier Wochen lang einzunehmen. Nach einer weiteren Wartezeit von zwei Wochen kann ein Test gemacht werden, der Aufschluss darauf gegeben sollte, ob eine Infektion stattgefunden hat. Kupferschmidt beschreibt seine Gedanken, seine Angst und die körperlichen Symptome in dieser Zeit. Dann endlich erhält er angeblich die befreiende Nachricht von einem Berliner Arzt: der Test sei negativ ausgefallen, Kupferschmidt habe sich nicht infiziert.

 

Sicher wäre jeder in einer solchen Situation sehr erleichtert. Manch einer würde vielleicht alleine einen Waldspaziergang unternehmen, in sich gehen und sich vornehmen, nie wieder in eine solche Situation zu geraten. Kupferschmidt verbrachte diesen Montagabend nach eigenen Worten mit "Party", "Bier", "Beats" und "Disconebel", um am nächsten Tag verkatert mit Kopfschmerzen aufzuwachen.

2. Version: "Ihr HIV-Test war positiv" (Oktober 2019)

Im Oktober 2019 veröffentlicht Kupferschmidt im Verlag Hoffmann und Campe sein zweites Buch. Der Titel lautet "blau", dazu wird hier ausführlich berichtet. Das Werk enthält versteckt im Nachwort auf Seite 213 ein überraschendes Eingeständnis. Demnach hatte der Autor "an einem strahlend schönen Morgen" von einem Berliner Arzt schlechte Nachrichten erhalten. Der Arzt habe ihm mitgeteilt: "Ihr HIV-Test war positiv."

 

Kupferschmidt sei an diesem Tag "gefasst" gewesen und ruhig. Er habe mit Freunden gesprochen. Abends habe er nicht gefeiert, sondern allein im Bett gelegen.

 

Wie an anderer Stelle dargelegt, endete die Laufbahn Kupferschmidts beim Berliner Tagesspiegel nach mindestens 400 Beiträgen recht abrupt und bisher ohne jegliche Erklärung. Nachfolger Kupferschmidts im Wissenschaftsressort wurde der Biologe und Journalist Sascha Karberg, der für den Tagesspiegel bisher mindestens 580 Beiträge verfasst hat.

 

Immerhin scheint es zwischen Kupferschmidt und dem Tagesspiegel noch bestimmte Verbindungen zu geben, denn Karberg verfasste eine Rezension zur Buchveröffentlichung Kupferschmidts. Mit dem Beitrag Blau oder Blün empfiehlt Karberg seinen Lesern das Werk des Ex-Kollegen. Wie in weiteren Rezensionen findet sich jedoch auch in diesem Text kein Hinweis auf die im Nachwort geschilderten Sachverhalte.

 

So erfahren die Leser der Rezension nichts darüber, dass Kupferschmidt sich in dem Werk öffentlich als HIV-positiv geoutet hatte.

3. Version: "Was danach passierte" (29.11.2019)

Der Widerspruch ist offensichtlich. 2012 hatte Kupferschmidt erklärt, nicht infiziert zu sein. Doch nun behauptete er in seinem Buch das Gegenteil. Dass dazu kein Hinweis in Karbergs Rezension enthalten ist weist darauf hin, dass dieser die entscheidenden Absätze überlesen haben könnte. Wenn Karberg das merkwürdige Nachwort aufgefallen wäre, dann hätte er die Rezension sicher nicht so wie geschehen veröffentlicht.

 

Anders als Kupferschmidt kann Karberg beim Tagesspiegel eine bisher makellose Karriere vorweisen. 2017 ist er zum verantwortlichen Redakteur aufgestiegen und schließlich im Oktober 2019 zum Ressortleiter "Wissen & Forschen" befördert worden.

 

Sicher ist Karberg im Nachhinein auf die zwei Versionen von Kupferschmidts persönlichen Offenbarungen hingewiesen worden. Doch da war es zu spät, die Rezension war gedruckt und öffentlich. Der Widerspruch konnte nur noch durch den Betroffenen selbst aufgelöst werden. So kam es dazu, dass Kupferschmidt fünf Jahre nach seiner letzten Veröffentlichung doch noch einmal einen Beitrag für den Tagesspiegel verfasste.

 

Sieben Jahre positiv - mein Leben mit HIV erschien am 29.11.2019. Hier erklärte der ehemalige Tagesspiegel-Redakteur, was nach seiner ersten Berichterstattung vom 1.12.2012 geschehen sein soll.

 

Nun soll der Leser glauben, dass Kupferschmidt sich einige Zeit nach dem ersten Test nochmals und in dem Fall mit positivem Ergebnis hatte untersuchen lassen. Er habe aber nicht den Mut gehabt, die somit unrichtige erste Berichterstattung zu korrigieren. Daher habe Kupferschmidt die Auszeichnung der Aids-Stiftung für diesen Bericht im Juni 2013 nur mit sehr gemischten Gefühlen annehmen können.

 

Die Preisverleihung in Inssbruck gehörte laut Kupferschmidt zu den "absurdesten Momenten" seines Lebens. Gedanklich war er nur mit seiner HIV-Infektion befasst. Er fühlte sich veranlasst mitten in der Veranstaltung aufzustehen, um auf der Toilette der Kongresshalle Medikamente einzunehmen. Aber offenbar fühlte er sich nicht veranlasst, zumindest das Preisgeld in Höhe von 3.000,- Euro, gestiftet vom Pharmakonzern Boehringer Ingelheim, abzulehnen. Er hat es wohl angenommen. Wofür er es verwendet hat ist nicht bekannt.

Schlussfolgerungen

Die drei unterschiedlichen Schilderungen werfen mehr Fragen auf, als sie beantworten. Zunächst ist anzumerken, dass Kupferschmidt seine Privilegien als Journalist genutzt hat, um sich persönlich zu präsentieren. Es ist jedoch nicht die Aufgabe von Journalisten, in ihren Beiträgen ihre eigenen intimsten Angelegenheiten darzulegen. Zur objektiven Berichterstattung haben Journalisten einen angemessenen Abstand zum Thema und zu ihren Gesprächspartnern zu wahren. Die Wahrung dieser professionellen Pflicht ist bei Berichten in eigener Sache natürlich nicht möglich, schon gar nicht wenn es um existenzielle Themen wie hier geht.

 

Jeder Bürger würde wohl gerne auch einmal in einer Zeitung von sich und seinem Alltag berichten. Den meisten Menschen wird es in ihrem Leben allerdings nie möglich sein, sich in Tageszeitungen Gehör zu verschaffen und öffentlich mitzuteilen. Als Vertreter der Allgemeinheit haben Journalisten vielfältige Möglichkeiten. Es versteht sich von selbst, dass sie mit der damit verbundenen Macht sorgfältig und verantwortungsbewusst umgehen müssen. 

 

Somit ist schon unverständlich, dass der Tagesspiegel den Beitrag Kupferschmidts vom 1.12.2012 veröffentlicht hat. Es dürfte wohl kaum jemals ein Journalist in "seiner" Zeitung derart detailliert über seine intimsten Angelegenheiten berichtet haben.

 

Es ist das Recht eines jeden Lesers, über die Glaubwürdigkeit von Medienberichten selbst zu entscheiden. Das gilt auch hier. Warum sollte ein Leser die vorgetragenen Sachverhalte angesichts der Widersprüche und professionellen Versäumnisse des Berichterstatters eigentlich glauben? Die geschilderten Vorgänge sind praktisch nicht überprüfbar, es gibt keine Belege und keine Bestätigungen von anderer Seite.

 

Im Rahmen einer journalistischen Berichterstattung hätte zumindest versucht werden müssen, auch die Seite des früheren Liebhabers einzubeziehen. Immerhin hat Kupferschmidt ihn schwer beschuldigt. Er soll ihm seine unbehandelte HIV-Infektion vorenthalten haben. Aber stimmt das wirklich? Ist beim Verkehr tatsächlich ein Kondom "gerissen"? Oder dienen die Behauptungen nur dazu, den Autor von jeglicher Verantwortung reinzuwaschen und als Opfer hinzustellen?

 

Zur Klarheit müsste auch der frühere Liebhaber befragt werden. Der kommt jedoch in Kupferschmidts Berichten nicht zu Wort und hat offenbar auch nicht sein Einverständnis zur Veröffentlichung der Geschichte gegeben, an denen er beteiligt gewesen sein soll. Kupferschmidt hat seinen früheren Partner somit als infiziert und sozusagen als Täter geoutet. Durch den Bericht in einer anerkannten Berliner Zeitung wurde er an den Pranger gestellt, ohne sich wehren zu können.

 

Kupferschmidt hat auch weitere Einzelheiten ausgespart, die einen Leser interessieren würden. Seit 2009 ist er Mitglied im Verband der Wissenschaftsjournalisten (WPK). Nach vorliegenden Unterlagen hatte WPK vom 17.9. bis 28.9.2012 eine Reise für die Mitglieder organisiert. Das Thema lautete Brasilien - Biodiversität im Regenwald.

 

Letzte Etappe soll ein Aufenthalt in Rio de Janeiro gewesen sein, Kupferschmidt dürfte dabei gewesen sein. Somit dürften sich die von Kupferschmidt berichteten Ereignisse in Rio auf der Insel der Ruhe (Paquetá) zugetragen haben. Ob der nicht namentlich genannte Liebhaber ebenfalls Mitglied im WPK war und die gesamte Reise absolviert hat ist wiederum nicht bekannt. Die interessierte Allgemeinheit würde dies jedoch gerne wissen.

 

Durch die späte Offenbarung des positiven Testergebnisses ergeben sich weitere Fragen.

 

Da sich die erste Berichterstattung vom 1.12.2012 als fehlerhaft erwiesen hatte, hätte sie zeitnah korrigiert werden müssen. Doch die Allgemeinheit wurde weiter in dem Glauben belassen, dass sich der Autor nicht infiziert hatte. Schon deshalb hätte Kupferschmidt den Medienpreis der Aids-Stiftung nicht annehmen dürfen.

 

Wissend um seine Infektion durfte er auch nicht mehr als Journalist über Seuchen und insbesondere HIV/Aids berichten. Da er nun persönlich betroffen war, hatte er den notwendigen professionellen Abstand zum Thema verloren. Niemand kann als Betroffener journalistisch über eine schwere Erkrankung berichten.

 

Doch Kupferschmidt hat weiter über Infektionskrankheiten und gelegentlich auch über HIV berichtet. Im November 2016 hat er sogar Anthony Fauci persönlich in dessen Büro am National Institute of Allergy and Infectious Diseases (NIAID) aufgesucht. Fauci gehört zu den bekanntesten Pionieren der Aidsforschung. Seit Ronald Reagan zählt er zu den persönlichen Beratern aller US-Präsidenten.

 

Kupferschmidt berichtet über seine Begegnung mit Fauci in einem Artikel der Süddeutschen Zeitung und in seinem Buch Seuchen. Er hatte Informationen aus erster Hand von einer Koryphäe erhalten. Rückblickend stellt sich allerdings die Frage: hat er mit Fauci ein journalistisches Gespräch geführt oder hat Fauci ihn zur medizinischen Sprechstunde empfangen?

 

Somit wird klar, wie es zur Veröffentlichung am 29.11.2019 gekommen ist. Nachdem Karberg in seiner Buchrezension die entscheidende Seite 213 übersehen hatte, waren er und der Tagesspiegel endgültig kompromittierbar. Es dürfte heiß hergegangen sein in der Redaktion. Die nun auch öffentlichen Widersprüche zu Kupferschmidt Ausführungen vom 1.12.2012 mussten aufgelöst werden.

 

Kupferschmidt hätte sich dazu auch an anderer Stelle, etwa auf seiner Homepage, erklären können. Doch dem Tagesspiegel genügte das nicht. Die Verantwortlichen wollten sich aus der Affäre winden und haben den Ex-Autor offenbar gezwungen, den Beitrag vom 29.11.2019 zu schreiben. Warum sonst hätte Kupferschmidt diesen Beitrag für ausgerechnet die Zeitung schreiben sollen, die ihn 2014 aus der Redaktion geworfen hatte?

 

Immerhin war Kupferschmidt in einer guten Verhandlungsposition. Beim Tagesspiegel brannte die Luft, man brauchte unbedingt seine Hilfe. Deshalb kann es auch sein, dass Kupferschmidt für diesen Text derart großzügig entlohnt wurde, dass das Honorar etwa für den Kauf einer Wohnung in einem exklusiven Loft-Gebäude im Szene-Gebiet nicht weit vom Kottbusser Tor ausreichend gewesen sein mag.

14.12.2020 / Letzte Änderung:

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