2001 gründete das HMI die Sulfurcell GmbH (später Soltecture GmbH) aus, um einen speziellen Ansatz im Bereich der CIS-Dünnschichtphotovoltaik, die sogenannte Schwefeltechnologie, zur Marktreife zu entwickeln und wirtschaftlich zu nutzen. Über die Ausgründung berichtete das HMI in dem Artikel HMI-Startup: Sulfurcell wants to manufacture large area modules.
Da die Entwicklung einer tauglichen und wettbewerbsfähigen "Schwefeltechnologie" scheiterte, wurde gemeinschaftlich mit Soltecture ab 2007 der Umstieg auf eine gleichfalls sequentielle selenbasierte CIS-Technologie in Zusammenarbeit mit dem Anlagenhersteller Centrotherm geplant.
Das HMI initiierte außerdem die Gründung des Kompetenzzentrums Dünnschicht- und Nanotechnologie für Photovoltaik Berlin (PVcomB) hauptsächlich mit dem Ziel, die Entwicklung weiterer Technologien für Soltecture zu unterstützen.
Die angeblich exklusive Zusammenarbeit des HMI / HZB mit Soltecture ist immer wieder betont worden. Diese Aussage ist inzwischen von der Homepage Soltectures entfernt worden:
Soltectures Forschungspartner: Soltectures Innovationskraft beruht auch auf seinem Netzwerk. Über exklusive Forschungspartnerschaften fließen uns wegweisende Erkenntnisse
aus der Grundlagenforschung, der anwendungsnahen Forschung und dem Maschinenbau zu. Der wichtigste Forschungspartner ist das Helmholtz-Zentrum Berlin, Europas führendes
Forschungsinstitut für Dünnschicht-Photovoltaik (HZB). Aus diesem Institut heraus hat sich Soltecture einst entwickelt und bis heute verbindet uns eine einzigartige
Partnerschaft. (Soltecture, Homepage)
Mit diesem angeblichen Wettbewerbsvorteil warb Soltecture noch bis 2013 unter anderem auf Datenblättern. Dazu nebenstehend ein Auszug eines Datenblatts, das noch im September 2013 auf der Homepage abrufbar war:
Das Unternehmen ist exklusiver Partner des Helmholtz-Zentrums Berlin, Europas größter Forschungseinrichtung für Dünnschichtphotovoltaik. (Soltecture, Datenblatt Linion
F-DE-REV 2.3)
Tatsächlich hat das HZB jedoch auch laufend mit direkten Konkurrenten Soltectures im Bereich der CIS-Dünnschichtphotovoltaik kooperiert.
Weiter ist auffällig, dass sich Soltecture auf dem Datenblatt als Hersteller von selenbasierten CIS-Modulen präsentierte und betonte, dass ausschließlich CIGSe-baiserte Module hergestellt würden. Das ist jedoch nicht richtig. Bis zuletzt hatte Soltecture überwiegend oder sogar ausschließlich schwefelbasierte Module mit geringer Leistungsfähigkeit hergestellt.
Im Jahresabschluss 2011 erklärte das HZB schließlich, dass die Ausgründung im März 2012 noch vor der Insolvenzantragstellung am 9.5.2012 fallen gelassen worden war:
Da sich die Gesamtsituation nach Einschätzung des HZB in absehbarer Zukunft nicht grundlegend ändern wird und der wissenschaftliche Zugewinn für das HZB, angesichts der Umstellung der
von Soltecture verwendeten Technologie auf Selenbasis nicht mehr wie erwartet gegeben ist, hat der Aufsichtsrat im März 2012 beschlossen, seine Beteiligung an Soltecture vollständig
aufzugeben. (HZB, Lagebericht 2011, 26.4.2012)
Außerdem berichtete das HZB, dass Soltecture 2011 einen Jahresfehlbetrag von 24,6 Millionen Euro angehäuft hatte. Inzwischen liegt ein "Gutachten" des Insolvenzverwalters Hartwig Albers vor. Demnach belief sich der Fehlbetrag 2011 sogar auf über 25,8 Millionen Euro.
Die Begründung für die Beendigung der Zusammenarbeit mit der eigenen Ausgründung erscheint jedoch unglaubwürdig. Das HZB verfügte über umfangreiches Wissen auch über selenbasierte CIS-Technologien und hatte diesbezüglich schon mit anderen Firmen zusammen gearbeitet.
Wie nebenstehender Auszug aus einer HZB-Aufstellung drittmittelfinanzierter Projekte (sofi-Projekte) vom 30.6.2012 zeigt, war auch eine konkrete Zusammenarbeit im Zeitraum 1.1.2011 bis 31.12.2013 mit Soltecture definiert. Projektleiter für das Projekt "CIGSe-Solarzellen" (Copper, Indium, Gallium, Selenium) war laut dieser Aufstellung der HZB-Wissenschaftler Hans-Werner Schock. Bis 2004 hatte Schock am Institut für Photovoltaik (IPV) der Universität Stuttgart (früher Institut für Physikalische Elektronik, IPV) an der Entwicklung einer selenbasierten CIS-Technologie für die Firma Würth Solar mitgewirkt.
Die Verwendung von Cadmium in CIS-Solarmodulen wurde schon lange als problematisch angesehen und deshalb unter anderem durch den Mitgründer Soltectures Nikolaus Meyer weitgehend verschwiegen.
Nach vorliegenden Unterlagen arbeitete Soltecture offenbar bis zur Insolvenz zusammen mit dem HZB und dem Konkurrenten Avancis an einem Verfahren zur Herstellung einer cadmiumfreien Pufferschicht. Das ist einem Forschungsbericht des HZB-Wissenschaftlers Ahmed Ennaoui zu entnehmen, der am 17.2.2012 veröffentlicht wurde und hier abrufbar ist.
Wie nebenstehender Tabelle zu entnehmen ist, haben die Firmen Avancis und Sulfurcell dem HZB Module zur Verfügung gestellt und anschließend offenbar fertig prozessiert.
PV parameters of CIGSSe and CIS solar cells and modules. Absorbers are provided by Avancis, Sulfurcell (SCG) and Helmholtz-Centre Berlin (HZB). All data for modules are given as aperture area efficiencies. (Ahmed Ennaoui, Recent progress in scaling up highly efficient Zn(S,O)/Cu-chalcopyrite thin film solar cells and modules at HZB, 17.2.2012)
Es ist erstaunlich, dass mit Avancis und Soltecture zwei direkte Konkurrenten derart eng zusammen gearbeitet und vom HZB Know-how profitiert haben:
Module completely processed at AVANCIS (CIGSSe) and Sulfurcell (CIS) using Zn(S,O) know how from HZB (Ahmed Ennaoui, Recent progress in scaling up highly efficient Zn(S,O)/Cu-chalcopyrite thin film solar cells and modules at HZB, 17.2.2012)
Wie nebenstehend ersichtlich, waren auf der HZB-Homepage weitere Informationen zu dem Projekt abrufbar, die zwischenzeitlich jedoch offenbar entfernt worden sind.
Es stellt sich weiter die Frage, woher das HZB Know-how ursprünglich stammte. Die einzige Firma, die bis dahin eine cadmiumfreie Pufferschicht verwendete, war Solar Frontier. Möglicherweise ist dieses Verfahren während einer früheren Zusammenarbeit Solar Frontiers mit dem Hahn-Meitner Institut (HMI) entwickelt worden. Damit wäre die Weitergabe dieses Wissens an Soltecture und Avancis als Verstoß gegen die Rechte und Interessen Solar Frontiers zu bewerten. (3.2.2014)
Das HZB verfügte auch über umfangreiche Erfahrungen im Bereich der selenbasierten Koverdampfungsverfahren. Das erläuterte der PVcomB Leiter Rutger Schlatmann 2011 anlässlich eines Besuchs von Vertretern Hondas und Solar Frontiers mit nebenstehender Vortragsfolie.
Zuletzt hatte Soltecture behauptet, an der Entwicklung einer derartigen Technologie gearbeitet zu haben. Es versteht sich von selbst, dass das diesbezügliche Know-how des HZB im Rahmen des oben genannten sofi-Projektes genutzt worden ist.
Insgesamt kann schon damit sicher festgestellt werden, dass die Begründung des HZB für die Beendigung der Zusammenarbeit mit Soltecture konstruiert war. Es wird zu klären sein, warum das HZB die Kooperation mit der eigenen Ausgründung noch vor deren Insolvenz beendet worden ist.
Über die Ausgründung und die Zusammenarbeit mit Soltecture wird ausführlich hier und in einer Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse berichtet.
27.5.2013 / Letzte Änderung: 3.2.2014